WG107 – Briefentwurf und Fragment einer Briefreinschrift an Anna Moll
Berlin, Montag, 28. November 1910 oder kurz danach
[Briefentwurf]
Sie schreibt von ihrer möglichen
Rückkehr am 1. März angeblich
wegen des Semmeringbaus; es
wäre herrlich, wenn das mög-
lich würde und Sie uns dazu
die Hände reichten
___________
11 Tage geschwiegen.
Es hat wenig Zweck \Ich empfinde es als anmaßend/ ande-
re mit den eigenen Qualen
zu belästigen, aber
man muß die eigne Lei-
denschaft als ein wie das
größte Unglück verschweigen.
_______________
Sie schwiegen auf meine
neuliche Frage über all-
gemeinen Gesundheitszustand,
war dieses Schweigen auch eine
Antwort? Haben sich
Ärzte geäußert?
wieviel schwerer ist doch ein
dauernder Zustand des Leidens
zu ertragen gegen einen einmaligen
jähen Schmerz. Es wäre ja
nicht so schwer, wenn ich
heiter u gesund wäre, aber es
geht ihr offenbar garnicht gut
und sie fühlt sich geistig
u körperlich unglücklich.
Die seltsame Ahnungslosigkeit
für ihre Empfi Innen-
leben martert sie und ich
muß schweigend zu sehn u
kann nicht helfen. Eine
Beruhigung ist mir Dr.
von dem sie so viel hält,
und der sein ganzes In-
teresse auf ihre Gesundheit
richtet.
Ich fürchte, daß Sie meine
Klagen bisweilen belästigen
könnten und im Grunde
weiß ich so gut, daß Sie
zunächst nur Leben in-
teressieren muß, aber nehmen Sie
es recht auf; Ich habe das Be-
dürfnis mich an ihr warmes
mütterliches Herz zu wen-
den, da ich in der Welt, in
der ich lebe, meine Herzens-
angelegenheiten sorgsam
verschweige.
Liebste Frau
Kämen nur erst wieder frohere
Nachrichten von unserer .
ich bange u habe Angst \sehe mit Sorgen/
um \in/ die Zukunft. Wir werden
An unserem\n/ Gefühlen wird
sich nichts ändern, der Schmerz
ist täglich \unveränderlich/ neu u jung, wir
werden uns langsam verzehren
im Entbehren und wenn die
Erlösung kommt ist es
vielleicht zu spät. Ich bin
ja noch jung, aber wird
noch die Kraft und
Ausdauer aufbringen können
ein zweites Menschleben zu
leben?
[Fragment einer Briefreinschrift]
Jedenfalls dürfen Sie an ein
Vergeßen nicht mehr denken.
bei mir nimmt die Leidenschaft
noch täglich zu und die Sehn-
sucht wächst gleichen Schrittes
wie eine verzehrende Krank-
\G/ heit. Man gewöhnt sich nicht
an das Fernsein, wie ich
anfänglich erhofft hatte
bei ist es wie mich
deucht nicht anders
Apparat
Überlieferung
, , , , , , , .
Quellenbeschreibung
4 Bl. (4 b. S.) – Briefentwurf: Papierbogen (, , ); Fragment einer Briefreinschrift: Viertel eines Papierbogens, kariert, Tinte ().
Druck
Erstveröffentlichung.
Korrespondenzstellen
Antwort auf AMo4 vom 13. November 1910 (Ich glaube, am 22[.] März schiffen sie sich ein): Sie schreibt von ihrer möglichen Rückkehr am 1. März angeblich wegen des Semmeringbaus. Beantwortet durch AMo6 vom 13. Januar 1911 (Alma scheint es Gottlob besser zu gehen): Sie schwiegen auf meine neuliche Frage über Alma[s] allgemeinen Gesundheitszustand.
Datierung
WG verfasste diesen Entwurf an kurz nach Eintreffen von AM47, der am 16. und 17. November geschrieben wurde und bei WG nach eigenem Eingangsvermerk auf dem Umschlag von AM47 am 28. November 1910 eintraf. Ein Passus aus AMs Brief findet sich fast wortgleich im Entwurf an : Es ist möglich, dass ich am 1. März nach Europa zurückgehe – angeblich wegen des Semmeringbaus wurde bei WG zu Sie schreibt von ihrer möglichen Rückkehr am 1. März angeblich wegen des Semmeringbaus. Es ist also wahrscheinlich, dass WG seinen Entwurf an am 28. November 1910 oder kurz danach verfasste.
Übertragung/Mitarbeit
(Tim Reichert)
wegen des Semmeringsbaus – s. Themenkommentar: Haus Mahler.